Piotrowski

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europa dokumentaro erschien erstmals im Jahre 1974 als Mitteilungsblatt der Gesellschaft für sprachgrenzübergreifende europäische Verständigung (Europa Klub) e.V.. Herausgegeben wurde es zunächst mit dem von der EG unterstützten Zentrum für europäische Bildung.
Infolge fehlender Mittel, infolge fehlender wissenschaftlicher und anderer Unterstützung wurde europa dokumentaro dann mit der Ausgabe Nr. 43 - 44 im Jahre 1984 eingestellt.

1996 legte Siegfried Piotrowski, Präsident des Europa Klub, europa dokumentaro, als "Nachfolger" des von ihm bis dahin herausgegebenen  AIS - Informationsdienstes, wieder auf. Er schloß in der Numerierung nicht an frühere Ausgaben an, sondern begann wieder mit der neuen Ausgabe 1.
europa dokumentaro erscheint seit 1999 nicht nur als virtuelles, sondern unter der issn 1434 - 4882 auch als Magazin in konventioneller Form.

Die neueste Ausgabe datiert aus März 2000. Sie können auf dieser Seite auch noch auf die Ausgaben 10, 11 und 12 zurückgreifen. Davor liegende Ausgaben stehen als Drucksachen zur Verfügung und sind (unter Beifügung von DM 3,-- für Porto) abrufbar beim Herausgeber (siehe Impressum).

ausgabe nr. 13           märz 2000        issn 1439 - 216X

Inhalt

  • Editorial
  • Vor 20 Jahren
  • Jiddisch - Historischer Abriß einer europäischen Sprache
  • Zur Situation der Jiddischsprecher
  • kybernetiknet im Netz.
  • Die sogenannte deutsche Rechtschreibreform und die Reform derReform
  • europawoche 2000
  • Antrag auf Aufnahme eines "Bürgerrechts auf kulturneutrale internationale Kommunikation" in die Europäische Grundrechts-Charta
  • Impressum
  • Wichtige Adressen im Internet
  • Termine
  • Editorial

    Die erste Ausgabe im Jahre 2000 widme ich drei  "großen" Beiträgen:
    1. Jiddisch: der oft totgesagten europäischen  Sprache,
    2. der nicht nur für mich unausweichlichen "Reform" der Rechtschreibreform und
    3. dem von der Stiftung Europaverständigung und dem Europa Klub gestellten Antrag, in die Europäische Grundrechts-Charta
    das "Bürgerrecht auf kulturneutrale internationale  Kommunikation" aufzunehmen.
    An dieser Stelle bedanke ich mich bei  Arnold Groh und Manfred Riebe  herzlich für ihre herausragenden  Beiträge.
    Wenn Sie diese Ausgabe an Bibliotheken, Freunde und Bekannte weitergeben wollen, fordern Sie zusätzliche Drucke unter Beifügung von DM 3,-- Porto an.
    Die Ausgaben 10 bis 12 sind noch auf meiner Seite http://www.piotrowski.de/siegfried/index.htm unter der Option "europa dokumentaro" nachzulesen.
    Ihr Siegfried Piotrowski
    -Inhalt-

    Vor 20 Jahren...

    ...berichtete europa dokumentaro in der Ausgabe 25, Januar-März 1980: "Europaparlament hörte Anti-Esperanto-Bericht"
    "Dem Euroforum vom 13. 7. 1979 ist zu entnehmen, daß die Abgeordneten der Gemeinsamen Versammlung zwar die Probleme sehen, die mit dem Gebrauch von sechs Arbeitssprachen in der EG verbunden sind, daß sie jedoch noch nicht die Einführung einer Welthilfssprache befürworten. - Die Frage lautet: "Spricht die nächste Generation mit vielen Zungen ?"
    ...In den Schulen der Europäischen Gemeinschaft ist Englisch die am meisten unterrichtete Fremdsprache. Von 10 Schülern lernen 8 Englisch. In Deutschland erhalten 99% der Schulkinder Englischunterricht. In Großbritannien und Irland ist dagegen Französisch die populärste Fremdsprache. Überhaupt wird Französisch  als zweite Fremdsprache  von jedem zweiten EG-Kind gelernt. Deutsch dagegen nur von jedem Dritten. Gering ist auch das Interesse an Italienisch, Holländisch und Dänisch. Die beliebtesten Sprachen außerhalb der Gemeinschaft sind Spanisch und Russisch.

    ...Bei allen Anstrengungen, die Gemeinschaftssprachen den EG-Bürgern näher zu bringen, werden auch die alten Sprachen nicht vollständig vergessen. Beispielsweise ist die Zahl der Schüler, die Latein lernen, seit einigen Jahren wieder im Steigen.

    Alle Gemeinschaftssprachen werden wir wohl nie sprechen - vielleicht in naher Zukunft aber zwei - und zwar jeder."
     
     
     

    -Inhalt-

     

                 Jiddisch - Historischer Abriß  einer  europäischen Sprache

    von Arnold Groh

    Jiddisch war seit dem Mittelalter eine Verkehrs-und Handelssprache, eine lingua franca, und sie hat jenen Status in jüngster Zeit zumindest ansatzweise zurückgewonnen. Dieser Wandel wird derzeit generell unterschätzt. Deutsche Verlagshäuser, die selbst Kleinsprachen im Programm haben, deren Sprecherzahl weit unter der jiddischen liegt,weigern sich gegenwärtig noch, jiddische Wörterbücher ins Programm zu nehmen. Dabei ist durch die veränderte geopolitische Situation auch in Deutschland die Zahl jiddischer Muttersprachler, die nun im Kontakt mit der Sprache der neuen Heimat sind, sprunghaft gestiegen. Hinzu kommt, daß mit dem zeitlichen Abstand zum II. Weltkrieg auch die Konnotation des Jiddischen mit dem Deutschen seinen Schrecken verliert ("Idisch is taitsch"). Das Jiddische, dem wir heute auch wieder im europäischen Alltag begegnen können, hat eine lange Vorgeschichte.

    Mit den Römern, also schon vor der Zeit der europäischen Völkerwanderung, wenn nicht sogar früher, sind bereits Israeliten in Gebiete gelangt, die von den späteren Bewohnern als Deutschland bezeichnet wurden. Generell wird zwischen sephardischen und aschkenasischen Juden unterschieden. Die Sephardim sind Iberien sowie dem mediterranen und dem arabischen Kultur-
    raum zuzuordnen; die Aschkenasim werden kulturell und sprachlich mit dem deutschen Kulturraum in Verbindung gebracht. Der Talmudgelehrte Ascher ben Jechiel (ca. 1250 - 1327) erwähnt die "Weisen von Aschkenas", welche "die Thora als Erbe von ihren Vorfahren in den Tagen der Tempelzerstörung"  erhielten. [1]  Der Name Aschkenas taucht in Gen 10.3, 1.Ch 1.6 und Jer 51.27 auf. Aschkenas ist Enkel Japhets und damit Großenkel Noahs. Aschkenas taucht in späterer Zeit als Synonym für Deutschland auf. Der Tradition folgend, ist diese Region also das Siedlungsgebiet der Nachkommen von Aschkenas. Inwieweit eine genealogische oder aber nur eine territoriale Verbindung zur heutigen aschkenasischjüdischen Gruppe herzustel-
    len ist, kann hier nicht beantwortet werden. Sofern mit den "Weisen von Aschkenas", von denen Ascher ben Jechiel schreibt, jene gemeint sind, die nach heutigem Verständnis als Aschkenasim bezeichnet werden, haben wir hier einen Hinweis darauf, daß das aschkenasische Judentum bereits im Jahre 70, dem Jahr nämlich der Tempelzerstörung, etabliert war. Kaiserliche Dekrete aus den Jahren 321 und 326 belegen die Existenz einer jüdischen Gemeinde in Köln.

    Die jüdische Kulturgruppe ist in einem Gebiet, das später als Deutschland bezeichnet wird, also schon länger ansässig als mancher der germanischen Stämme. Denn,  wohlgemerkt: Die Zeit der Völkerwanderung, in der der große Topf Europa kräftig umgerührt wurde, reichte noch bis ins 6. Jahrhundert.

    In der Zeit der Kreuzzüge kam es zu gewaltigen Ausschreitungen gegen Juden. Wie auch viel später in der Nazizeit - Stichworte Raubgold und Rüstungsfinanzierung-, so dürfte auch damals Habgier ein sehr konkretes, zentrales Motiv vieler Kreuzfahrer gewesen sein, sich an diesen Ausschreitungen zu beteiligen. Natürlich fand man stets ideologische Rechtfertigung. Kaiser und Könige, die den Juden wohlgesonnen waren, sahen sich angesichts der Masse der Marodeure nicht in der Lage, sie vor den Übergriffen zu schützen. Es kam zu einem sich von da an vergrößernden Riß zwischen Judentum und nichtjüdi-
    schem Umfeld. Daß eine negative Diskriminierung nicht a priori bestanden hatte, zeigen die Zeugnisse kultureller und intellektueller Verschmelzung. So ist das älteste erhaltene Fragment des Gudrun-Liedes, der Dukus Horent von 1382, mit hebräischen Schriftzeichen geschrieben. Das größte Kulturzeugnis dieser Art ist jedoch die Sprache selbst. Das heutige Jiddisch geht, wie andere deutsche Dialekte auch, auf das Mittelhochdeutsche zurück. Dialektsprecher, etwa aus dem Süden des deutschen Sprachraumes, zeigen sich oft überrascht über die enge Verwandtschaft.

    Das Ripuarische, die alte Sprache des Rheinlandes, hat ihre Spuren im Jiddischen hinterlassen. Sei es die Aussprache des L, seien es Worte wie "owent" für Abend - Sie können im heutigen Kölsch noch einige Parallelen hören. Aber es gibt auch sephardisch-romanische Einflüsse, die über die Hansestädte Hamburg und Bremen einströmten. Dort hatten sich jüdische Händler, aber auch Schiffsbauer und Ärzte aus Iberien niedergelassen, nachdem 1492 Spanien "judenrein" gemacht wurde und nachdem nur fünf Jahre später in Portugal, das viele als Exil gewählt hatten, die Repressionen ebenfalls eskalierten. Als dann um 1700 in der nun norddeutschen Heimat die unterdrückenden Maßnahmen wiederum überhand nahmen, kam es zur erneuten Abwanderung.

    Das Jiddische als spezifisch jüdische Variante des Deutschen findet seine Entsprechungen in anderen jüdischen Sprachen, die in nichtjüdischen Umfeldern entstanden. Schon zu biblischen Zeiten gab es eine hebräische Variante des Aramäischen und das Jewanische als ein israelitisches Griechisch. Unter romanischem Einfluß entstanden das Italkianische, im frankophonen Bereich das Safartische sowie das provencalische Schuadit, in Iberien Jidió oder Judezmo. Unter arabischem Einfluß kam es zum Arwischen mit mehreren Subvarianten. Weitere jüdische Sprachen entstanden in Persien, Tadschikistan, Dagestan, im Kaukasus und in Georgien, auf der Krim; so sind auch die verschiedenen karaitischen Sprachen zu nennen. Da vor dem II. Weltkrieg das aschkenasische Judentum 90% der jüdischen Weltbevölkerung ausmachte, war der relative Anteil jiddischer Muttersprachler entsprechend hoch - drei Viertel aller Juden sprachen Jiddisch. Zwischen dem Jiddischen, der jeweiligen Hochsprache und anderen Sprachvarianten gab es immer Wechselwirkungen, so daß wir im heutigen Umgangsdeutsch sogar Worte finden, die wahrscheinlich über das Jiddische aus dem Hebräischen hineingelangt sind (z.B. "Pinke-Pinke" für Geld), die aber im heutigen Jiddisch selten geworden sind, weil sie durch hochdeutsche, slawische oder andere Ausdrücke ersetzt wurden.

    Bis in das 20. Jahrhundert ließen sich das West- und das Ostjiddische unterscheiden. Ersteres war stärker von der deutschen Hochsprache, teilweise auch vom Alemannischen und vom Niederdeutschen, beeinflußt, während das Ostjiddische - je länger, desto mehr - Einflüsse aus dem slawischen Umfeld erhalten hatte. Die westliche Variante verblaßte im Laufe der Zeit. Besonders ab der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gelangte es unter ostjiddischen Einfluß; beispielsweise bildete sich in Paris eine jüdische Intellektuellenszene heraus, in der ost- auf westjiddische Kultur traf. Hochdeutscher Sprachstandard und Säkularisierung taten das ihrige; die Nationalsozialisten versetzten dem Westjiddischen den Todesstoß, so daß ab der Zeit nach dem Holocaust von gelebter westjiddischer Sprachkultur keine Rede mehr sein kann. In ländlichen Gegenden West- und Mitteleuropas können Sie mit viel Glück noch Überbleibsel westjiddischer Kultur finden; mit noch mehr Glück können Sie im Elsaß eventuell auf betagte Leute treffen, die noch die alemannisch geprägte Subvariante kennen. Auch im Schlesischen, einer Mundart, deren Untergang ebenfalls in direkter Beziehung zum 3. Reich steht, finden sich vereinzelte Ausdrücke [2]  aus dem Westjiddischen, dessen östlicher Bereich durch Niederschlesien und dessen Interferenzraum mit dem Ostjiddischen östlich von Breslau verlief. Übrigens dürfte es hier sprachlichen Einfluß auch unter dem Glaubensfreiheit gewährenden Friedrich Wilhelm I. durch protestantische und jüdische Übersiedler aus Österreich gegeben haben. 1965 sammelte Werner Weinberg im Münsterland unter überlebenden Viehhändlern die "Reste des Jüdischdeutschen" (1969) ein - und das war's dann; im
    Heimatland der Nazis war der Völkermord besonders gründlich betrieben worden. Dort, wo jiddische Kultur in Westeuropa wieder erblühte, findet sich heute ein sprachliches Patchwork. So dürfte die Pelikan Straat in Antwerpen, ein Zentrum des Diamantenhandels, ein spannendes Feld nicht nur für Semiotiker und Germanisten sein, sondern für Linguisten, Kultur- und Gesellschaftswissenschaftler allgemein. Die verschiedenen Varianten jüdischer Kultur und Sprache sind geradezu als global zu bezeichnen.

    Der Fall des Westjiddischen kann also als abgeschlossen behandelt werden. Was aber ist mit dem Ostjiddischen? Wie überhaupt war es zu einer östlichen Variante gekommen? - Im Laufe der Jahrhunderte waren jüdische Gruppen - ebenso wie andere Gruppen aus dem deutschen Sprachraum - nach Osteuropa abgewandert. Diese Siedlungsbewegungen erfolgten nicht nur aus wirtschaftlicher Not; allzu oft waren religiöse Verfolgungen ausschlaggebend. Schuld wurde schnell den Juden angelastet, so zum Beispiel, als die Pest in Europa wütete. Immer wieder mußten jüdische Familien gen Osten fliehen, um den Massenmorden zu entkommen, für die es jedesmal eine neue Begründung gab.

    Die Gruppen, die aus dem deutschen Raum übergesiedelt waren, behielten im slawischen Umfeld Osteuropas ihre Sprache bei. Sie blieben eher in einer vernetzten Weise in Kontakt miteinander, als daß sie sich in die neue Kultur integrierten. Andere nichtjüdische Siedler aus dem deutschen Sprachraum, die sogenannten Rußlanddeutschen etwa, haben ebenfalls, sofern das mitgebrachte Idiom bei Ihnen überleben konnte, bis heute ihr altes Schwäbisch, Pfälzisch, Niederdeutsch etc. beibehalten [3] (heute dürfte eine Integration dieser Übersiedler deshalb in den jeweiligen Dialektgebieten - im ländlichen Schwaben etc. - erfolgreicher verlaufen als etwa im fremdenfeindlichen ostdeutschen Umfeld). Kulturpsychologisch betrachtet, wird hier das Dominanzgefälle [4] zwischen den damaligen Zuwanderern und der bereits ansässigen, slawischen Bevölkerung Osteuropas deutlich. Das Verhältnis war typisch für eine Beziehung zwischen Kolonisierten und Kolonisten. Letztere waren deutschsprachig - mit  welcher Variante auch immer. Viele der jüdischen Zuwanderer waren aus diskriminierenden historischen Sachzwängen Händler - oft reisende-, aber es entstanden auch Siedlungen mit überwiegend jüdischem Anteil, die "Stetlech". In der Sprache der jüdischen Siedler, die sich über weite Gebiete verteilten, kam es zu ausgeprägten Unterschieden in der Mundart. Diese Subvarianten sind, wie bei natürlich gewachsenen Strukturen üblich, fraktal verteilt. [5]  Es gibt also keine allzu deutlichen Sprachgrenzen, sondern allenfalls Isoglossen bei insgesamt fließenden Übergängen. Grobunterscheidungen werden hinsichtlich "Litwakn" (Baltikum), "Poilischn" (Polen) und "Galizianern" (Rumänien, Ukraine) vorgenommen, die nicht nur sprachliche, sondern auch kulturelle Unterschiede aufweisen. So gelten die Litwakn als besonders glaubensstreng; der eher südlich von ihnen beheimatete Chassidismus, in dem Lebensfreude und Nächstenliebe betont werden, stellt eine entsprechende Gegen-
    bewegung dar. Dieses Spannungsverhältnis findet, vor allem bei J. L. Peretz, seinen literarischen Niederschlag. In seinen chassidischen Geschichten - z.B. "Der dintoire mitn wint", "Di frume kaz", "Oib nischt noch hecher" - ist er bemüht, die hölzerne, ja oft steinerne religiöse Härte bloßzustellen.

    Das Wiederaufleben des Jiddischen geht auch mit der Wiederentdeckung jiddischer Kultur einher. Peretz gehört zur Reihe der großen jiddischen Schriftsteller, die zur Blüte der jiddischen Literatur im letzten Viertel des 19. und im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts beitrugen. Zu ihnen zählen auch Scholem Alejchem, dessen "Tewje der milchiker" im "Fiddler on the Roof" weiterlebt, und Itzik Manger, der noch bis in die Zeit nach der Shoah wirkte. Letzterer galt als Exzentriker; in der Tat dürfte er eine der schillerndsten Figuren der jiddischen Literaturszene gewesen sein. In seinen Verssammlungen etwa, die leider nur noch fragmentarisch vorhanden sind, vereinigen sich seine eigenwillige Variation des Midrasch, bei der er biblische Geschichte im Stetl ansiedelt, mit autobiographischen Momenten und mit stark surrealistischen Elementen; oft erst nach schichtweiser Interpre-
    tation erschließen sich den Lesern die darin verborgenen politischen oder religiösen Motive, aber auch die Kritik an jüdischer Dogmatik, die sich vom biblischen Ursprung entfernt hat. Gemeinsames Merkmal der Autoren jener jiddischen Literaturepoche ist, daß sie sich in einem Spannungsfeld befanden, in dem sprachliche, religiöse und allgemein kulturelle Faktoren auf sie einwirkten. Bevor sie die schriftstellerische Laufbahn antraten, absolvierten sie in der Regel eine profunde Ausbildung, die entweder traditionell jüdisch, oft aber auch weltlich akademisch ausgerichtet war. In ihrer Frühzeit betätigten sie sich im Bereich der jeweiligen Hochsprache, also beispielsweise Polnisch oder Russisch, sowie teilweise in Hebräisch. Meist waren diese
    Schriftsteller mit dem Hochdeutschen vertraut, dessen Literatur nicht selten sogar Teil ihrer intellektuellen Heimat gewesen sein dürfte. Ohnehin verschmolzen in der sozialen Oberschicht Osteuropas die unterschiedlichen, aus dem deutschen Sprachraum stammenden Gruppen im gemeinsamen Gebrauch des Hochdeutschen. Vielfach distanzierte man sich dort vom jiddischen "Jargon", das der sozialen Unterschicht zugerechnet wurde. Zwar war man über Kindermädchen und Dienstboten, Händler und niedriger gestellte Verwandte mit dem Jiddischen von klein auf vertraut. Man sprach, korrespondierte und publizierte jedoch, wie beispielsweise Kafka, auf Hochdeutsch.

    Die jiddische Literaturszene setzte hier sehr bewußt Gegengewichte. Zentrales Motiv, so wird jedem Interessierten schnell deutlich, ist der implizite Hinweis auf die Reichhaltigkeit der Sprache, vor allem in emotionaler Hinsicht. Jiddisch besitzt eine blumige Metaphorik, vermittelt Heimatgefühl, stiftet kulturelle Identität und ist frei von den einengenden Normen, wie sie in den Standards der Hochsprachen vorliegen. Freilich gab es auch hier Bestrebungen, Regulative einzuführen. 1908 fand die Tschernowitzer Sprachkonferenz statt, mit dem Ziel, dem Jiddischen zur Anerkennung zu verhelfen. Diese Weltkon-
    ferenz war von Nathan Birnbaum einberufen worden, der im übrigen auch einer der Väter der zionistischen Bewegung war. Sein Sohn Salomon Birnbaum brachte eine Grammatik der Jiddischen Sprache heraus, die bis heute als Standardwerk gilt. Ein anderer Versuch, dem Jiddischen ein grammatisches Korsett anzulegen, erfolgte durch Max Weinreich; glücklicherweise sind derartige Initiativen weitgehend im Sande verlaufen. Das gilt auch für Bestrebungen der späten Sowjetunion, das Jiddische normierend zu vereinnahmen. Es entstand ein umfangreiches russisch-jiddisch/jiddisch-russisches Nachschlagewerk,das beson-
    ders in seinem Bemühen um "Dehebraisierung" der Schreibweise auffällt. Der Herausgeber der ebenso programmatisch betitelten Zeitschrift "Sowjetisch Hejmland" lehrt übrigens heute in Oxford.
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    [1] zit. n. Gidal, Nachum T. (1988): Die Juden in Deutschland von der Römerzeit bis zur Weimarer Republik. Köln, 1997
    [2] z.B. "laab gesunt" als Abschiedsgruß - Vokallängung im Vokal selbst und nicht, wie im Ostjiddischen, durch Diphtongisierung (dort: "lejb gesunt")
    [3] vgl. Rosenberg, Peter & Weydt, Harald: Sprache und Identität. Neues zur Sprachentwicklung  der Deutschen in der Sowjetunion. In: Meissner, Boris; Neubauer. Helmut & Eusfeld, Alfred (Hrsg.): Die Rußlanddeutschen - Gestern und Heute. Köln, 1992
    [4] Zum Dominanzkonzept  s. Groh, grkg, 1993, 34, 3, 110-118; 4, 172-182
    [5] Groh, Arnold: "Westliche Zivilisation ?" Einige Bemerkungen zur kulturellen Struktur. Arkaden, 1994, 3/3, 12-14
     
     
     

    -Inhalt-

     

    Zur Situation der Jiddischsprecher

    von Arnold Groh

    Gegenwärtig finden wieder Siedlungsbewegungen Jiddisch sprechender Menschen in größerem Umfang statt, was nicht nur mit der wirtschaftlichen Situation im ehemaligen Ostblock, sondern vor allem auch mit dem dort herrschenden Antisemitismus zu tun hat. Hinterfragenswert ist allerdings die Behandlung, die jüdische Übersiedler im Vergleich zu anderen Übersiedlern aus Osteuropa erfahren. Auch die sogenannten "rußlanddeutschen" Aussiedler aus der früheren Sowjetunion stellen keine homogene Gruppe dar. Ihre kulturelle Diversität äußert sich besonders in der Dialektgruppenzugehörigkeit. Zwar ist die von ihnen gemeinsam beherrschte Sprache Russisch, daneben sind oft auch Kenntnisse des Hochdeutschen vorhanden, aber sofern der jeweilige Dialekt der Vorfahren noch vorhanden ist, bestimmt er die sprachliche Kernidentität. Es handelt sich dabei um Varietäten z.B. des Plattdeutschen, Schwäbischen, Pfälzischen, Hessischen etc. Hinsichtlich dieser Sprachkenntnisse sind deutliche Generationsunterschiede vorhanden.Besonders jüngere Übersiedler sprechen oftmals nur Russisch. Die Nicht
    beherrschung des Hochdeutschen behindert eine Integration in ein von der Hochsprache geprägtes Umfeld.  Gleichzeitig kommt es oftmals zur Bildung einer Gruppenidentität, die sich über den Gebrauch der russischen Sprache als Kommunikationsinstru-
    ment innerhalb der Betroffenengemeinschaft konstituiert.

    Juden aus der ehemaligen Sowjetunion werden, wenn sie in Deutschland leben wollen, von den deutschen Behörden streng gesondert behandelt, es werden ihnen nicht die Rechte der "Rußlanddeutschen" zuerkannt, schon gar nicht hinsichtlich einer Einbürgerung. Daß sie als sogenannte "Kontingentflüchtlinge" überhaupt Bleiberecht genießen, wird als Ausnahme aufgrund der besonderen historischen, negativen Rolle Deutschlands begründet. Die Zahl jüdischer Übersiedler aus der GUS ist nicht unbeträchtlich; insgesamt sind von 1990 bis Anfang 2000 nach Deutschland 186.947 eingereist (viele aber nur vorüberge-
    hend). Die Wahrnehmung und Klassifizierung der GUS-Juden findet jedoch, wie leicht zu zeigen ist, in verzerrter Form statt. Hier lassen sich zwei Aspekte hinterfragen - (1) die Kriterien, aufgrund derer sie von den deutschstämmigen Übersiedlern unterschieden werden; (2)die Begründung, mit der sie ausnahmsweise geduldet werden.

    Zum ersten Punkt -

    sprachliche Argumente: Als die Juden nach Osteuropa migrierten, nahmen sie das Jiddische mit - ebenso, wie andere Migrantengruppen ihre jeweiligen, ebenfalls dem Mittelhochdeutschen entstammenden Idiome mitnahmen. Wie diese hat sich das Jiddische bis in die jüngste Zeit erhalten (was ein Indiz hinsichtlich der kulturellen Identität ist), so daß die jüdischen Übersiedler - ebenso, wie die "Rußlanddeutschen" ihre jeweiligen Dialekte- es entweder selbst beherrschen oder zumindest von Eltern oder Großeltern kennen. Ihre Sprachgruppenzugehörigkeit ist nicht weniger deutsch als die der "Rußlanddeutschen";
    territoriale Argumente: Ausgangsregion der verschiedenen Migrationsbewegungen, in denen GUS-Juden wie Rußlanddeut-
    sche" aus dem deutschen Kulturbereich nach Osten übersiedelten, war der territoriale Großraum, der weitgehend deckungsgleich mit der heutigen Bundesrepublik ist;

    genetische Argumente: Europäische Juden sind eindeutig als Europäer zu erkennen, äthiopische Juden sind äthiopid, asiatische Juden tragen asiatische Züge. Aufgrund der Abwanderung aus sehr unterschiedlichen Regionen des deutschen Kulturraums dürfte die genetische Variationsbreite der "Rußlanddeutschen" erheblich sein; gleichzeitig dürfte es weite genetische Überschneidungen mit den GUS-Juden geben. Abgesehen davon erübrigt es sich eigentlich zu sagen, daß rassische Überlegungen bei den Aufnahmeregelungen auszuschließen sind;

    nationale Argumente: Der Großteil der Auswanderer, die die Vorfahren der heutigen "Rußlanddeutschen" waren, emigrierte zu einer Zeit, als es gar kein national geeintes Deutschland gab. Wenn deshalb argumentiert wird, das einigende Band von emigrierten Sachsen, Pfälzern, Hessen, Schwaben etc. bestehe darin, daß sie dem deutschen Kulturraum entstammen, so können die GUS-Juden ebenso dieser Kategorie zugerechnet werden,

    sozial-historische Argumente: Die kollektive Identität de "rußlanddeutschen" Bevölkerungsgruppen während des Aufenthalts in Osteuropa könnte ins Feld geführt werden. Sie fühlten sich ungeachtet ihrer Dialektgruppenzugehörigkeit als Deutsche und standen auch über Dialektgrenzen hinweg in Kontakt zueinander. Gleiches kann jedoch für GUS-Juden geltend gemacht werden. Viele der Juden Osteuropas dürften sich ebenfalls deutsch gefühlt haben (selbst die Klassifikation "aschkenasisch" wird ja als "deutsch" aufgefaßt). Ihre Vorfahren waren mit der Migration nach Osteuropa Teil der Kolonisten, die maßgeblich am ökonomischen und infrastrukturellen Wandel beteiligt waren.

    Unter diesen Gesichtspunkten sind diejenigen Übersiedler, die problemlos einen deutschen Paß erhalten, nicht "deutscher" als die GUS-Juden; anders btrachtet, sind letztere ebenfalls "Rußlanddeutsche". Eine Getrenntbehandlung der genannten Übersiedlergruppen ist deshalb nicht gerechtfertigt.

    Zum zweiten Punkt:

    -Die angeführten Überlegungen rechtfertigen den Schluß, daß die Sonderbehandlung der Juden schlichtweg aus dem Grund erfolgt, daß sie Juden sind. So läßt sich die Ausnahmeregelung, mit der sie geduldet werden, als etwas anderes erkennen, als was sie vorgeblich ist - hier spielt eher die Fortführung der diskriminierenden Tradition eine Rolle als die Kontrapunktion derselben.
    -Nun mögen sich bundesdeutsche Regelungen am Eintrag der Nationalitätszugehörigkeit im GUS-Paß orientieren. Aber: Zum einen bedeutet dies, daß eine diskriminierende Tradition der Sowjetzeit fortgesetzt wird; zum anderen werden ja auch nicht nur "Rußlanddeutsche" im engeren Sinne, sondern auch ihre Verwandten aufgenommen. Und schließlich ist noch darauf hinzuweisen, daß die bundesdeutsche Verfassung eine Benachteiligung von Menschen aufgrund ihres Glaubens bzw. einer Re-
    ligionszugehörigkeit verbietet.[1]

    Schauen wir wieder über unseren Tellerrand, fällt selbstverständlich Israel ins Auge. Das Land hat durch die Zuwanderungs-
    welle aus Osteuropa einen sprunghaften Zustrom von Jiddisch-Sprechern erhalten, so daß man dort vielerorts mit der Sprache in Kontakt kommt. Aber nicht nur osteuropäische Zuwanderer sind es, die dort für das Wiederaufleben des Jiddischen sorgen. Es finden höchst interessante Wechselwirkungen von Religion, Sprache und bestimmten Kulturelementen statt. Es ist nicht immer so, daß Zuwanderer mit dem Feld verschmelzen, indem sie eine Anpassung vollziehen, die in der Übernahme ortsüblicher Zeichen der Zugehörigkeit besteht. Es kann sogar sein, daß es mit der Übersiedlung zu Veränderungen kommt, die zu deutlicher Unähnlichkeit führen. Ende der 1970er Jahre gab es in Israel relativ wenige sogenannte "Schwarzkittel",  osteuropäische Juden, die nicht nur Jiddisch sprachen, sondern auch noch ihre alte Tracht trugen. Es sah so aus, als würde dieses Phänomen bald ganz verschwinden, da die Jüngeren keine Ambitionen zeigten, diese altertümliche und zudem für die Region unpassend erscheinende Bekleidung anzunehmen. - Einige osteuropäische Rabbiner emigrierten nach Amerika, wo sie in verschiedenen Institutionen aktiv wurden und Anhänger um sich scharten. Von diesen wiederum sind etliche nach Israel eingewandert. Diese Migration ist mit einer eigentümlichen Metamorphose verbunden: Die Zahl der "Schwarzkittel" ist in den letzten Jahren in Israel stetig steigend. Talmudschulen werden eröffnet, in denen sie studieren. Dabei wird, je nach Glaubensrichtung, das Hebräische streng als "Loschn Ko(j)desch", als heilige Sprache behandelt, die es für den sakralen Bereich zu reservieren gilt und die deshalb nicht im Alltag verwendet wird. So steigt dort auch die Zahl der Kinder, die mit Jiddisch als Umgangssprache heranwachsen - wie man bei einem Gang z.B. durch Mea Shearim hören kann.

    Religion ist das zentrale Moment jüdischen Lebens. Ohne sie gäbe es wohl keine jiddischen Sprachgemeinschaften, zumal Kultur, Sprache und Religion eng miteinander verbunden sind. Es ist aber in einer anderen, kontrastierenden Umgebung nicht leicht, diese Dinge beisammenzuhalten. Auch hier und heute stagniert die Akzeptanz oft im Bereich von Lippenbekenntnissen. Es ist schwer, Religion zu praktizieren, während die "aufgeklärte" Gesellschaft dies wie eine  Zwangsneurose  betrachtet. Wer z.B. Freitagabend eine Arbeit abbricht, weil der Schabbat beginnt, oder auf einer Feier die schweinshaltigen Speisen ablehnt, kann nicht immer Verständnis von seinen Mitmenschen erwarten. In unserer ach so toleranten Gesellschaft hat der Glaube nach allem, was passiert ist, immer noch einen schweren Stand. Einblick in die Welt des Jiddischen können Außenstehende allerdings nur erhalten, wenn Verständnis die Grundlage der Gespräche bildet. Denjenigen, die Respekt vor dem Respekt vor Gott aufbringen und einfühlsam sind, wird sich eine Welt ohnegleichen auftun.

    Religiöser Wandel, der mit dem Gebrauch des Jiddischen verbunden ist, findet jedoch nicht nur in der geschilderten Form des Erstarkens der Orthodoxie in Israel statt. Übersiedler nach Deutschland besitzen ihre Religion oftmals in nur noch fragmentarischer Form. Hiesige Gemeinden, die um religiösen Aufbau bemüht sind, stellen ebenfalls einen Raum dar, in dem die Zuwanderer sich über das Jiddische, das für sie auch ein einigendes Band ist, verständigen. Ein besonders großer Wandel findet jedoch gegenwärtig im Entstehen messianischer Gemeinden statt. Zwar gibt es sie schon seit längerem in den USA und in Israel;[2]  unter den in Osteuropa Verbliebenen entstehen nun, mit der Religionsfreiheit, fast wöchentlich neue Gemeinden dieser Glaubensrichtung, die das Jüdischsein von "Jeschua HaMeschiach", von Jesus also, betont, damit auf den Rabbiner aus Nazareth als Messias hinweist und gleichzeitig um Festigung jüdischen Selbstverständnisses bemüht ist. Es handelt sich also um keine Konversion, um keinen Religionsübertritt im klassischen Sinne, sondern vielmehr um eine Integration des Christusglaubens unter sehr bewußter  Beibehaltung jüdischer Traditionen. Eine solche Position dürfte sich auch positiv auf den Fortbestand des Jiddischen auswirken, da dieser religiöse Brückenschlag eine gewisse Analogie zu dem beinhaltet, was das Jiddische als Sprache darstellt. Die historische Kluft wird überbrückt, ohne daß die Identität aufgegeben wird. Hingegen ist der übliche Fall, daß Religion gänzlich verworfen wird, meist auch mit dem Verlust des Jiddischen verbunden. Die betreffenden Personen sprechen dann nur noch die Hochsprache des jeweiligen Umfeldes. Auch zielt die orthodoxe Nichtakzeptanz judenchristlicher Gemeinden auf die jüdische Identität und damit auf das Sprachzugehörigkeitsgefühl der Betreffenden.

    In der Säkularisierung sind Generationsunterschiede zu beobachten. Bisweilen scheint es so, als schämten sich die Jüngeren für ihre traditions- und religionsbewußten, Jiddisch sprechenden Eltern. Aber auch durch die - wahrscheinlich auf die Zeit der Kreuzzüge zurückgehende - Regelung, daß ein Mensch nur dann jüdisch sei, wenn die Mutter Jüdin ist, werden 50% der aus Mischehen Stammenden vor die Tür der Gemeinschaft gesetzt. Daß eine solche, von den Betroffenen oft schmerzlich erlebte Ausgrenzung mit einer Abkehr auch von der jiddischen Sprache verbunden ist, liegt auf der Hand. Noch ist in Deutschland kein breites Gemeindespektrum wiedererstanden, wie es bis zur Zerschlagung existiert hatte und in dem in Reformgemeinden Menschen mit einem jüdischen Elternteil - ungeachtet des Geschlechts - als jüdisch akzeptiert werden.
    - Ein weiterer identitäts- und damit Jiddisch-feindlicher Faktor ist das auch nach dem "3. Reich" fortgesetzte Leugnen jüdischer Wurzeln in vielen Familien. Anfang der 1930er Jahre gab es in der Welt rund zwölf Millionen Jiddisch-Sprecher; die Nazis haben diese Zahl auf sieben Millionen verringert. Jiddisch wurde daraufhin quasi als aussterbende Sprache behandelt. Wenn Wissenschaftler oder Künstler sich ihr zuwandten, dann vermittelten sie dabei oft ein Gefühl von Nostalgie. Zwar hatte sich zwischenzeitlich die Zahl jiddischer Muttersprachler aufgrund der allgemeinen Tendenz, sich in ein dominantes sprachliche Umfeld zu integrieren, weiter verringert; andererseits jedoch ist festzustellen, daß Jiddisch von vielen umso bewußter gesprochen wird. In Israel, wo nach der Shoah Jiddisch einen schweren Stand hatte, war es Anfang der 1990er Jahre bereits an über 60 Schulen Unterrichtssprache, und auch in London beispielsweise wird an etlichen Privatschulen auf Jiddisch unterrichtet.

    Historisch beispiellos ist der jüdische Zuzug, den Berlin und Umland nach der Auflösung der Sowjetunion erlebt haben. Hier besinnen sich die Migranten auf Jiddisch als internationale Sprache zurück. Im Baltikum ebenso beheimatet wie am Schwarzen Meer, wird von ihr nun Gebrauch gemacht, wo Russisch wegen der Erinnerungen an die Sowjetherrscher vermieden wird. An der TU Berlin existiert seit 1997 wieder ein jiddischer Konversationskreis. Es dürfte sich dabei um den ersten regelmäßig tagenden, jiddischsprachigen Zirkel in Berlin seit den 1930er Jahren handeln. Hier kann man auf Menschen treffen, die Jiddisch nicht nur sprechen, sondern es auch schreiben. Leider verschwinden bislang die vorgetragenen Manuskripte wieder in der Schublade, weil ein Organ, eine Zeitschrift, die Jiddisches veröffentlichen würde, fehlt. Doch vor allem bietet dieser Zirkel Lernwilligen die Möglichkeit, sich mit Muttersprachlern auszutauschen. Daß es so etwas wieder gibt, läßt hoffen.
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    [1] Um die Einhaltung des Grundgesetzes sicherzustellen, wäre ein Musterprozeß in dieser Angelegenheit geradezu wünschenswert.
    [2] In Deutschland dürfte die Zahl der "nichtarischen Christen" - protestantische und katholische Juden sowie, in eigenen Gemeinden, Judenchristen - vor der Shoah um die 400.000 gelegen  haben (vgl. Oberlaender, Franklin: Wir sind nicht Fisch und nicht Fleisch. Christliche Nichtarier und ihre Kinder in Deutschland. Opladen 1996).

    [Dr. Arnold Groh, 39, Psychologe und Linguist mit Lehraufträgen am FB1 (Kommunikations-und Geschichtswissenschaften) der Technischen Universiät Berlin, beschäftigt sich seit Jahren mit Kulturwandel.
    Hilfreiche Verweise:
    http://www.reise-know-how.de/
    http://www.unicum.de/]
     

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    kybernetiknet im Netz

    "I have added your very interesting website to my favorites."

    "Please add me to your list, also P. B., current president of the Am. Society for Cybernetics."

    "Herzlichen Glückwunsch zum Aufbau dieses Kybernetik-Servers! Es ist sehr erfreulich, daß es jetzt eine übergreifende Präsenz dieses wichtigen Gebietes im deutsch-sprachigen Internet gibt. Solche Koordinationsleistungen sind wichtig, um eine fruchtbare Entwicklung aufzubauen. Viel Erfolg!"

    Für die vielen zustimmenden und anerkennenden Zuschriften, die ich nach der Einrichtung von kybernetiknet erhielt, stehen diese drei.

    kybernetiknet soll

    *zukünftig etwa quartalweise als virtuelles Magazin  erscheinen,
    *europäische kybernetische Institutionen vorstellen,
    *über deren Arbeit berichten,
    *auf Veranstaltungen hinweisen,
    *wichtige kybernetische Arbeiten bekanntmachen,
    *die europäische Zusammenarbeit kybernetischer Institutionen fördern.

    Ich lade alle Kybernetiker und kybernetischen Vereinigungen herzlich zur Mitarbeit an kybernetiknet ein.

    Siegfried Piotrowski
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         Die sogenannte deutsche Rechtschreibreform und die Reform der Reform

    von Manfred Riebe [1]

    Die sogenannte deutsche Rechtschreibreform ist eine Mißgeburt. Die Rechtschreibreformer haben das Rad der Geschichte auf eine primitivere Stufe der Rechtschreibung  zurückgedreht. Das Ergebnis ist eine Schreibverwirrung in den Bereichen der Zusammen- und Getrenntschreibung (der Nobelpreis für Günter Grass war wohl verdient, bisher richtig: wohlverdient), in der Groß- und Kleinschreibung (eine Hand voll Milliardäre, bisher richtig: Handvoll), den Worttrennungen am Zeilenende (Buche-cker), der ß/ss-Schreibung (Missstimmung, bisher:Mißstimmung), durch etymologisch falsche Ableitungen (belämmert, bisher richtig: belemmert), durch eine teilweise Germanisierung von Fremdwörtern (Orthografie, aber Philosophie) und durch weniger Kommaregeln (Der Vater schlachtete eine fette Gans und die kleine Tochter des Nachbarn lud er zum Essen ein). [2] Pädagogen schütteln ob solch einer unpädagogischen Zerstörung der Eindeutigkeit und Einheitlichkeit der Rechtschreibung verständnislos den Kopf. Die Änderungen betreffen zu 90 Prozent die ß/ss-Schreibung. Sie dient nur als Füllmaterial, um überhaupt eine Reform nötig erscheinen zu lassen. Die Fehlerzahl steigt aber gerade durch die neue ss-Schreibung stark an, z.B. ausser, Beweiß, Hinderniss, schliessen, Strasse, Zeugniss. Bereits der Landesrechnungshof Niedersachsen hatte die Reform wegen ihrer Mängel und der unüberschaubar hohen Folgekosten abgelehnt. [3]
    Die Reformer und Medienkonzerne verwenden absichtlich den irreführenden Begriff „Amtliches Regelwerk", um der Bevölkerung eine nicht vorhandene Allgemeinverbindlichkeit der Schreibreform zu suggerieren und vorzutäuschen. Aber rund 90 Prozent der Bevölkerung schreiben auch über das Jahr 2005 hinaus weiter wie bisher. Laut Urteil des Bundesverfas-
    sungsgerichts vom 14. Juli 1998 gilt die Rechtschreibreform allein für die Schulen. [4]  Nur die Schüler und Lehrer wurden auf die Neuschreib-Insel verbannt. Beamte und Journalisten wurden ebenfalls dorthin geschickt. Aufmerksame Beobachter ent-
    decken seit 1. August 1999 nun auch in den Zeitungen eine Beliebigkeitsschreibung. Die Journalisten schrieben wie gewohnt weiter, weil sie beim Neuschrieb infolge von Interferenzen [5]  mehr Fehler machen als bisher. Ihre Artikel wurden  von  Rechtschreibkonvertierungs-programmen umgewandelt, so daß die Zeitungen trotz Handkorrektur jeden Tag Hunderte von blamablen, falschen und häßlichen Schreibweisen enthielten. Allmählich wacht die Presse daher auf und merkt, welches Kuckucksei sie sich mit der sogenannten Rechtschreibreform eingehandelt hat.
    ------
    [1]  OStR Manfred Riebe ist Vorsitzender des Vereins für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V. (VRS), Schwaig bei Nürnberg. Der VRS wurde als einer der wenigen Rechtschreibreformgegner zu den Anhörungen der Zwi-schenstaatlichen Rechtschreibkommission am 23. Januar 1998 in Mannheim und des Bundesverfassungsgerichts am 12. Mai 1998 in Karlsruhe eingeladen. Der VRS hatte den Germanisten Professor Theodor Ickler (Erlangen) entsandt. Am 6. März 1998 trat Riebe zusammen mit Friedrich Denk, dem Gründer der Initiative „Wir gegen die Rechtschreib-reform" in Bayern, und Norbert Schäbler, dem Leiter der „Lehrerinitiative gegen die Rechtschreibreform Bayern", aus Protest gegen die Haltung der CSU in der Frage der Rechtschreibreform aus der CSU aus. Er trat auch aus der Ge-werkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aus, weil diese mit den Schulbuchverlagen und Bertelsmann ein Bündnis für die Rechtschreibreform schloß und obendrein eine Schulbuchverlegerin, Hertha Beuschel-Menze, AOL-Schulbuchverlag, Lichtenau, zur Anhörung der Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission am 23.01.1998 nach Mannheim entsandte.
    [2]  Peil, Stephanus: Die Wörterliste, 10. Auflage, Westerburg 1998, erhältlich nur über den VRS.
    [3]  Rheude, Rainer: Rechnungshof: Schreibreform wird zu teuer. In: Nordwest-Zeitung 06.06.97;
    Vogelsang, Irmgard: Wie ein Rechnungshof die Rechtschreibreform ansieht. In: FAZ 20.06.97, S. 9
    [4] Bundesverfassungsgericht: Urteil vom 14. Juli 1998, Az.: 1 BvR 1640/97, S. 59
    [5]  Fröhler kritisiert, die Reformer hätten die permanente Interferenzwirkung, die Ranschburgsche Hemmung, der einander widersprechenden Schreibweisen in den Köpfen der Schreibenden nicht berücksichtigt. Vgl. Fröhler, Horst: Das ändert sich: alle Wörter mit neuer Rechtschreibung, Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag; Lichtenau: AOL-Verlag, 1996, S. 115
    --------
    Ein normaler Zeitungsleser weiß nun nicht mehr, ob es sich um die traditionelle normale Rechtschreibung oder die neue Primitivschreibung oder eine Beliebigkeitsschreibung mit einer Mischung aus traditioneller normaler Recht schreibung und Primitivschreibung handelt.Hermann Unterstöger, einer der beiden deutschen Journalisten, die für die Süddeutsche Zeitung aus Wien über die dritte Orthographie-Konferenz vom 22.-24. November 1994 berichteten, hatte schon im Februar 1997 das Urteil der Germanisten und Linguisten über die Rechtschreibreform knapp und klar zusammengefaßt:
    „Wenn Wörterbücher schlecht sind, ist das zugrundeliegende Regelwerk mangelhaft; wenn das Regelwerk mies ist, kann die Reform nicht gut sein; wenn die Reform nichts taugt, gehört sie überarbeitet; wenn die Reform überarbeitet werden muß, kann man sie gleich stornieren, zum mindesten bis zur Beseitigung aller Mängel aufschieben." [6]
    Im Gegensatz zu diesem vernichtenden Urteil der Sprachwissenschaftler verteidigte Unterstöger bis vor kurzem die Rechtschreibreform. Aber seit die Journalisten beruflich zum Schreiben der neuen Rechtschreibung gezwungen waren, lernten sie allmählich die Mängel der neuen Primitivschreibung kennen. Unterstöger war der erste Journalist, der, angeregt durch einen Aufsatz des Germanisten Theodor Ickler (Erlangen),[7]  das Scheitern der Reform offenlegte.[8]  Er illustrierte mit einer Auswahl repräsentativer Blüten der sogenannten neuen Rechtschreibung den Rechtschreibwirrwarr. Auch Nachschlagen nützt nichts, [9]  weil die mehr als 20 verschiedenen Wörterbücher (Aldi, Bertelsmann, Duden, Eduscho, Österreichisches Wörterbuch, Wahrig usw.) wegen der Mangelhaftigkeit der Reform in den Schreibweisen voneinander abweichen. Unterstöger beantwortete seine Frage, ob eine Reform der Rechtschreibreform nötig sei: Die Reform hätte eingestellt werden müssen.
    Studiendirektoren der Initiative „Wir Lehrer gegen die Rechtschreibreform" hatten nachgewiesen, daß die Zahl der Rechtschreibfehler durch den Neuschrieb steigt! [10]  Da aber sogar die Reformer lange Zeit übersahen, daß ihr Regelwerk eine Fehlkonstruktion ist, ist es kein Wunder, daß auch die meisten Journalisten viele Fehler nicht erkennen und daß nur fachkundige Leser alle Schreibfehler bemerken. Theodor Ickler führte den Rechtschreibreformern die Mangelhaftigkeit ihres Regelwerks vor Augen. Daraufhin schlugen die Reformer im Dezember 1997 Änderungen vor, [11]  die die Kultusmi-
    nister aber ablehnten. Die Kultusminister interessieren die Schreibprobleme nicht; denn sie diktieren und lassen schreiben. Sie müssen deshalb nicht in den fehlerhaften Wörterbüchern nachschlagen. Seitdem unterrichtete die Rechtschreibkommission ausgewählte Wörterbuchverlage in zehn geheimen Beratungsrunden exklusiv über bevorstehende Änderungen! [12]  Die privi-
    legierten Wörterbuchverlage „reformieren" bzw. verschlimmbessern deshalb ihre Wörterbücher.
    ------
    [6]  Unterstöger, Hermann: Ab häute schreiben wi ich will? Neues Nachdenken über die Rechtschreibreform. In: SZ 19.02.97, S. XI
    [7]  Ickler, Theodor: Wann kommt die Reform der Reform? ... - Eine Zwischenbilanz. In: DIE WELT 20./21.11.99, S. W 4
    Ickler, Theodor: Die sogenannte Rechtschreibreform. Ein Schildbürgerstreich, 2. Auflage, St. Goar: Leibniz-Verlag, 1998
    Ickler, Theodor: Kritischer Kommentar zur „Neuregelung der deutschen Rechtschreibung", 2. Auflage, Erlangen: Verlag Palm & Enke, 1999
    [8]  Unterstöger, Hermann: Reform der Schreibreform nötig? In: Süddeutsche Zeitung 04.01.2000, S. 4. Unterstögers Artikel wurde in „Die Presse", Wien, am 05.01.2000, S. 2, unter „Pressestimmen" auszugsweise abgedruckt. Am 17.01.2000 brachte die Süddeutsche Zeitung 15 Leserbriefe, die die Beobachtungen Unterstögers bestätigten.
    [9]  Unterstöger berichtet von der grossen Unlust der Journalisten, ein Wörterbuch zu benutzen. Dennoch hätten noch nie so viele Journalisten zum Wörterbuch gegriffen, nur wegen der Rechtschreibreform.
    [10]  Ein Auszug aus der Untersuchung der Lehrerinitiative ist enthalten in Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V.: Unser Kampf gegen die Rechtschreibreform, Nürnberg 1998, S. 10 ff., erhältlich über den VRS.
    [11]  Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung: Vorschläge zur Präzisierung und Weiterentwicklung aufgrund der kritischen Stellungnahmen zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung. Mannheim, Dezember 1997
    [12]  Ickler, Theodor: Rechtschreibreform  - eine Zwischenbilanz. In: Die Presse (Wien), 24.12.99, S. 2
    ----
    So werden Bücher laufend volkswirtschaftsschädlich künstlich veraltet. Ein Medienkartell aus Buch- und Zeitungsverlagen und Nachrichtenagenturen hat sich die Sprache angeeignet. Es verändert, zum Teil in Absprache mit den Reformern, die Wörter laufend wie eine Handelsware, um auf diese Weise weltweit Geschäfte zu machen. Inzwischen ist dadurch die Einheitsrechtschreibung zerstört und in eine Vielzahl unterschiedlicher Hausorthographien zersplittert. Der Vorsitzende der Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission, Professor Gerhard Augst (Siegen), fordert: „Das amtliche Regelwerk soll auf Grund der Kommissionsergebnisse alle zehn Jahre neu aufgelegt werden. Zwischenzeitlich sind marginale Veränderungen und Wortnachträge in den Nachdrucken möglich."[13]  „Die Deutschen" sollen merken, „daß die Rechtschreibung nicht sakro-sankt" ist, sagt Augst anmaßend. [14] In diesem Sinne griffen die sogenannten Reformer in die natürlichen Strukturen der Rechtschreibung ein und schufen nach eigenem Gutdünken künstliche neue, aber fehlerhafte Rechtschreibregeln. Augst will einen kleinen Präzedenzfall als Freibrief für permanente Rechtschreibreformen schaffen. Die Reformer Augst, Blüml, Gallmann und Sitta betonten: „Es ist ein Anfang gemacht worden, weitere Vereinfachungen und Verbesserungen können sich zu einem späteren Zeitpunkt anschließen."[15] Der Reformer Professor Dieter Nerius bestätigte dies, die Reform sei „ein Schritt in Richtung auf die angeführte Zielsetzung". [16]  Die Reformer halten wegen der festgestellten Mängel eine Reform der Reform für „unumgänglich".[17] Machen wir uns nichts vor: Der „keiser, der den al im bot isst", ist noch nicht tot! Was 1996 noch nicht durchsetzbar war, werden die Reformer nach dem Jahr 2005 erneut auf die Tagesordnung setzen: die konsequente Kleinschrei- bung und die Preisgabe der der Unterscheidungsschreibung, der Dehnungszeichen und insbesondere die Abschaffung des „ß".
    Die Leidtragenden sind nicht nur die deutschen Staatsbürger, sondern auch die Bürger aller anderen Staaten der Erde. Der aufgezwungene Schreibwirrwarr bereitet ihnen Ärger und Mühe, und obendrein müssen auch die ausländischen Bürger über Steuern und Preiserhöhungen die Kosten für dieses untaugliche Massenexperiment mittragen. Zur gleichen Zeit fehlt aber das Geld im Schulwesen, und es werden Goethe-Institute im Ausland reihenweise geschlossen.

    „Es ist nie zu spät, Natur-, Kultur- und Sprachzerstörung, Entdemokratisierung, Korruption und Steuerverschwendung zu stoppen!" (VRS)
    ------
    [13]  Augst, Gerhard / Strunk, Hiltraud: Dokumente zur Einführung der amtlichen Rechtschreibung in den deutschsprachigen Ländern 1901-1903. In: Muttersprache, Band 99, 1989, S. 236
    [14]  Augst, Gerhard: Vorsitzender der Rechtschreib-Kommission empfiehlt: Reformstart ohne Kompromiß. Interview von Rainer Nübel. In: Stuttgarter Nachrichten 31.01.98, S. 20;
    15]  Sitta, Horst / Gallmann, Peter, in Zusammenarbeit mit Gerhard Augst und Karl Blüml: Duden, Informationen zur neuen deutschen Rechtschreibung: Nach den Beschlüssen der Wiener Orthographiekonferenz vom 22.-24.11.1994 für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Mannheim: Dudenverlag, 1994, S. 7
    [16]  Kurzprotokoll der öffentlichen Anhörung des Bildungsausschusses des Landtags Mecklenburg-Vorpommern vom 06.10.99, S. 11 und 13
    [17]Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung, Dezember 1997, S. III
     
     
     

    -Inhalt-

    europawoche 2000

    Europäisches Bürgerrecht auf kulturneutrale  internationale Kommunikation
    Vorträge und Diskussionen
    Eine Veranstaltungsfolge der Stiftung Europaverständigung e.V.
    in Zusammenarbeit mit der
    Gesellschaft für sprachgrenzübergreifende europäische Verständigung
    (Europa Klub) e.V.

    Montag, 2. Mai 2000, 19:30 Uhr
    im Hörsaal F der Universität Hamburg
    Edmund-Simers-Allee 1 (gegenüber dem Bahnhof Dammtor)

    Das Schweigen der Bürger - Europas Vielfalt der Sprachen  und ihre Internationalität auf dem Prüfstand
    Prof. on. Dr. Siegfried Piotrowski, Lucian-Blaga-Universität in Hermannstadt (Sibiu) RO

    Donnerstag, 11. Mai 2000, 19:30 Uhr
    im Esperanto-Haus
    Klaus-Groth-Str. 95 (Nähe U-Bahn Burgstr.)

    Neue Schwierigkeiten bei den Sprachen
    Prof. (AIS) Dr. Werner Bormann, Internationale Akademie der Wissenschaften San Marino

    Brauchen wir ein europäisches Bürgerrecht auf  kulturneutrale internationale Kommunikation ?
    Gerhard Hein, Stiftung Europaverständigung e.V.

    Stiftung Europaverständigung e.V.
    Scheideholzweg 85 A, 21149 Hamburg, Telefon 040/70121769, Telefax 70121779



     
     

    -Inhalt-

     
     

    TERMINE++TERMINE++TERMINE++TERMINE

    17. - 24. April 2000
    Sankt Andreasberg, Harz,
    printempa semajno internacia
    Anmeldeinformationen bei Wolfgang Bohr, Johannes-Kirschweng-Str. 11, 53474 Bad Neuenahr - Ahrweiler,
    Telefon 02461/4885
    eMail: psi@esperanto.de

    12. - 14. Juni 2000
    Hradec Králové (Königgräz/CZ)
    Prager Konferenz über kybernetische Pädagogik
    Kybernetische Modelle in der Bildung und zwischenmenschlichen Kommunikation
    Internationale Konferenz unter der Schirmherrschaft des Rektors der Pädagogischen Universtität Hradec Králové,
    Prof. Ing. Pavel Cyrus CSc
    Organisatoren der Konferenz sind:
    Pädagogische Universität in Hradec Králové,
    Südböhmische Universität in Ceske Budejovice,
    Internationale Akademie der Wissenschaften (AIS) San Marino,
    GPI Gesellschaft für Pädagogik und Information,
    IfK Institut für Kybernetik Berlin e.V./GKK,
    Europa Klub e.V.

    Es ist vorgesehen, im Rahmen dieser Konferenz auch den Wiener-Schmidt-Preis 2000 durch das IfK, selbständige Sektion der GPI, zu verleihen.
    Anmeldeinformationen:
    eMail: martin.bilek@vsp.cz

    15. - 16. Juni 2000
    Paderborn
    Europadiskurs und Multimedia
    GPI-Fachtagung für zeitgeschichtliche Erwachsenenbildung
    Anmeldeinformationen:
    eMail: gpi-e.v.@firemail.de
     
     
     

    -Inhalt-

    Europäisches Bürgerrecht auf kulturneutrale internationale Kommunikation

    Das Schreiben der

    Stiftung
     Europaverständigung e.V.
    Der Vorsitzende des Vorstands
    Gerhard Hein
    und der
    Gesellschaft für sprachgrenzübergreifende europäische Verständigung
     (Europa Klub) e.V.
    Der Präsident
    Siegfried Piotrowski
    vom 6. Januar 2000 hatte folgenden Inhalt:

    Büro
    des Bundespräsidenten a.D.
    Herrn Professor
    Dr. Roman Herzog
    Postfach 86 04 45

    81631 München

    Hagen, 2000-01-06

    Sehr geehrter Herr Professor Dr. Herzog,

    wir entnahmen einer Pressenotiz, daß Sie zum Vorsitzenden des Gremiums berufen wurden, das eine Europäische  Grundrechts-Charta formulieren soll. Zu diesem ehrenvollen Amte gratulieren wir Ihnen herzlich und wünschen Ihnen für Ihre Aufgabe eine glückliche Hand.
    Wir stimmen mit Ihnen darin überein, daß schon bei der Entwurfsarbeit auf jede einzelne Formulierung achtgegeben werden muss. Als Organisationen, die sich schon seit vielen Jahren für leichtere Verständigungsmöglichkeiten für alle Bürger im vielsprachigen Europa einsetzen, fühlen wir uns aufgerufen,die Formulierung eines diesbezüglichen

    Europäischen Bürgerrechts

    vorzuschlagen.

    Wir,
    das sind die vor 25 Jahren gegründete Gesellschaft für sprachgrenzübergreifende europäische Verständigung,
    Europa Klub e.V.
    und
    die Stiftung Europaverständigung e. V.,

    postulieren hierdurch gemeinsam das

    Bürgerrecht auf kulturneutrale internationale Kommunikation,
    das wir bei Ihrer Arbeit am Entwurf einer Europäischen Grundrechts-Charta zu berücksichtigen bitten.

    Zur Begründung:
    Wir sind der Meinung, daß das vielsprachige "Europa der Bürger" zur besseren Wahrnehmung von Bürgerrechten sowie zur Stärkung des europäischen WIR-Gefühls und Gemeinsinns dringend eine bürgerfreundlichere Lösung seines Sprachenproblems braucht. Das Sprachen- bzw. Verständigungsproblem berührt fundamentale Bürgerinteressen:

    1. Gleichberechtigung

    Die aktive, demokratische, grenzübergreifende Teilhabe am "Europa der Bürger", die zur Zeit noch (überwiegend nicht vorhandene) Fremdsprachenkenntnisse erfordert, kann und darf nicht Vorrecht für eine "Sprachelite" sein und bleiben. Sie ist vielmehr grundsätzlich und gleichberechtigt auch für die weniger sprachenbegabten Bürger zu fordern. Das "Recht auf kulturneutrale internationale Kommunikation" hat nicht zuletzt auch eine soziale Komponente.

    2. Chancengleichheit

    Nicht alle Menschen bekommen in ihrem Leben die praktische Möglichkeit oder haben die Fähigkeit, zwei oder mehr Fremdsprachen zu erlernen und zu beherrschen. Häufig genug sind weniger Sprachbegabte sogar besondere Leistungs-
    träger in unserer Gesellschaft, weil sie Zeit, Kraft und Kreativität mehr zum Erwerb ihrer Fachkompetenz und weniger zum Erwerb einer vielseitigen sprachlichen Kompetenz verwenden. Sollen sie keine Chance erhalten, über die Sprach-
    grenzen hinweg wirken zu können ?

    3. Effektivität

    Für ein zukunftsfähiges "Europa der Bürger" kommt es darauf an, daß sich möglichst alle Menschen untereinander verständigen können. Das ist nur zu erreichen, wenn grundsätzlich alle überall in Europa in der Schule dieselbe Sprache als erste Fremdsprache lernen. Mit den gegenwärtigen Regelungen kann ein solches erstrebenswertes Ziel bedauerlicherweise nicht erreicht werden. Selbstverständlich ist neben der gemeinsamen 1. Fremdsprache dringend das Lernen weiterer zu fördern, insbesondere der Sprachen der jeweiligen Nachbarländer.

    4. Erleichterung

    Bei der Wahl der ersten Fremdsprache ist aus unserer Sicht dringend zu berücksichtigen, daß der Lernaufwand für den einzel-
    nen Bürger (und natürlich für die Bevölkerungsmehrheit) wesentlich verringert wird. Durch die geringere persönliche Belastung und durch die Lernleichtigkeit soll bewirkt werden, daß in Europa so viele Menschen wie möglich in die Lage versetzt werden, die 1. Fremdsprache mit großem Erfolg im praktischen Leben anzuwenden. Es dürfte den meisten Menschen leichter fallen, wenigstens eine Fremdsprache gut zu beherrschen, als sich kompetent in mehreren ausdrücken zu können.

    5. Neutralität und Gleichbehandlung

    Das europäische Sprachenproblem läßt sich aus unserer Sicht auf Dauer erfolgreich und ohne Sprachenstreit nur auf kulturneu-
    trale Art und Weise und unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsat-zes lösen. Fremdsprachen lehren und lernen kostet Zeit, Kraft und Geld, auch und gerade Steuergelder. Internationale Kommunikation ist ein bedeutender Wirtschafts-, Kosten- und Wettbewerbsfaktor. Deshalb sollte vermieden werden, daß einzelne Staaten bevorzugt, andere benachteiligt werden.
    Es gehört zu den großen Selbsverständlichkeiten einer jeden Regierung, daß sie das Funktionieren der innerstaatlichen Kommunikation für den Zusammenhalt des Staates auf allen Ebenen durch Unterrichtung der Landessprache(n) an den Schulen sicherstellt. So macht zum Beispiel erst die Unterrichtung von Hochdeutsch die problemlose Verständigung zwischen Nordfriesen und Bayern möglich.
    Analog sehen wir die EU und ihre Mitgliedstaaten in der Pflicht, die Voraussetzungen zu schaffen, daß sich die europäischen Bürger trotz der herrschenden und nicht zu beschneidenden Sprachenvielfalt untereinander verständigen können, und zwar auf die einfachste und wirtschaftlichste Art und Weise, die möglich ist. Wir meinen, daß die Bürger darauf ein Recht haben - ein Bürgerrecht ! Ein Bürgerrecht auf "kulturneutrale internationale Kommunikation".
    Dieses Bürgerrecht halten wir durchaus auch für durchsetzbar:
    Seit mehr als einhundert Jahren beweist zum Beispiel die Internationale Sprache des Dr. Esperanto, daß mit ihr die Ueberwindung von Sprach(grenz)schwierigkeiten auf einfache und wirtschaftliche Art und Weise praktisch möglich ist. Ende Juli 1999 fand in Berlin ein Esperanto-Weltkongreß statt. Annähernd 3000 Teilnehmer aus 65 Ländern nahmen daran teil.
    Zur Durchsetzung des von uns vorgeschlagenen Bürgerrechts sollte nach unseren Vorstellungen Latein oder die Internationale Sprache Esperanto als eine Art "europäische Hochsprache"  in die Verständigungsinfrastrukturen (Schulen,Universitäten etc.) der europäischen Länder aufgenommen werden. - Das stellt sicher kein unlösbares Problem dar !

    Im Vergleich zu anderen Fremdsprachen ist Esperanto, davon konnte sich in Berlin jeder der wollte, überzeugen, wesentlich schneller, leichter und damit wirtschaftlicher zu erlernen. Ihre Kenntnis erleichtert, wie beispielsweise auch bei Latein, das Erlernen weiterer Fremdsprachen.
    Wer schon als Lehrer befähigt ist, eine Fremdsprache zu unterrichten, der kann nach einer kurzen Vorbereitungszeit (eine bis vielleicht zwei Wochen) die Internationale Sprache für Anfänger unterrichten und dabei parallel seine persönliche Sprachkompetenz sehr rasch erweitern.
    Das ist keine Theorie. Jeder kann sich selbst davon überzeugen, daß eine solche Vorgehensweise funktioniert. Das Lernen von Latein, auch in einer zu schaffenden vereinfachten Form, dauert länger.
    Es dürfte keine Utopie sein, die Internationale Sprache Esperanto oder Latein zeitgleich in allen europäischen Ländern als gemeinsame 1. neutrale, keine andere Sprache diskriminierende Fremdsprache an den Schulen einzuführen. Ist es nicht der EU gelungen, auch den Gemeinsamen Markt und die gemeinsame Währung einzuführen ?
    Wir sind der Überzeugung: Sprachgrenzübergreifende Verständigung ist in unserer Zeit ein Grundbedürfnis der Menschen und ausschlaggebend für die Fortentwicklung der Europäischen Union. Die offizielle Sprachenpolitik der EU darf nicht behindern, sie muß den modernen Erfordernissen zukunftsorientiert angepaßt werden. Mit anderen Worten:
    Den Bürgern dürfen nicht länger Möglichkeiten und Chancen vorenthalten werden, die mit der europaweiten Einführung einer neutralen gemeinsamen Fremdsprache, wie beispielsweise Esperanto oder Latein, verbunden wären.
    Den Bürgern darf auch nicht länger zugemutet werden, sich international so umständlich, zeit- und kostenaufwendig zu verständigen, wie bisher. Die Verständigungsmöglichkeit in einer gemeinsamen neutralen Sprache muss zum Allgemeingut aller Europäer werden.
    Wir bejahen das Projekt  der EU-Kommission "2001 soll Europäisches Jahr der Sprachen werden" ausdrücklich und haben es auch im Mitteilungsblatt europa dokumentaro, Ausgabe Dezember 1999 herausgestellt.  Auch wenn einmal alle europäischen Bürger neben ihrer Muttersprache zwei Gemeinschaftssprachen beherrschen sollten, bleibt eine kulturneutrale gemeinsame Sprache Voraussetzung für die Öffentlichkeit der EU, für eine gemeinsame Identität. Eine Rundfunksendung zu Beginn eines neuen Tages könnte "Guten Morgen, Europa" lauten und jeder Bürger würde sie verstehen.

    Wir hoffen, sehr geehrter Herr Professor Dr. Herzog, daß unsere Gedanken in den Entwurf einer Europäischen Grundrechts-Charta einfliessen werden und sehen Ihrer Stellungnahme mit großem Interesse entgegen.
    Im Mai werden  unsere Vereinigungen in der Universität Hamburg im Rahmen der Europa-Woche 2000 einen Vortragszyklus zu dem hier angesprochenen Thema veranstalten. Zur Darlegung Ihrer Sichtweise laden wir Sie, oder einen von Ihnen benannten Referenten, ganz herzlich ein.

    Mit freundlichen Grüßen

    für die Stiftung  Europaverständigung                                                                                             für den Europa Klub
                  (Gerhard Hein)                                                                                                               (Siegfried Piotrowski)
     
     

    -Inhalt-

    Impressum

    Herausgeber (im Auftrag des Europa Klub), Chefredaktion und verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes:
    Siegfried Piotrowski, Postfach 27 42, D- 58027 Hagen, Telefon/Telefax: + 49 (0) 23 31/ 5 15 59,
    mailto: siegfried@piotrowski.de,
    Internet: http://www.piotrowski.de
    Layout: Daniel Piotrowski, Schultenhardtstr. 27, D- 58093 Hagen, Telefon: 0179 / 2 17 04 80
    Druck: Bonacker, Lützowstr. 64, D- 58095 Hagen
    Copyright © 1996-2000
    All Rights Reserved - Alle Rechte vorbehalten by/für Siegfried Piotrowski

    frühere europa dokumentaro - Ausgaben

    Nummer 10 - Juli 1999
    Nummer 11 - September 1999
    Nummer 12 - Dezember 1999